Der Bau der Umfahrungsstrasse beansprucht über 36 Fussballfelder «Grün», die temporär oder definitiv zerstört werden, vor allem Fruchtfolgeflächen, darunter beste Ackerböden – aber auch viel Wald. 9 Fussballfelder an wertvollem Boden gehen definitiv verloren, 7 Fussballfelder werden gerodet. Angesichts der Tatsache, dass täglich immer noch rund 1,3 Hektaren allein für die Erweiterung Verkehrsinfrastrukturen – vorab für den Strassenausbau – beansprucht werden, gilt es in Erinnerung zu rufen: Landwirtschaftlich nutzbarer Boden ist ein unvermehrbares Gut und eine unserer wichtigsten Lebensgrundlagen.
Während der 5-jährigen Bauzeit belegen Baupisten, Zufahrten, riesige Depots an Schuttmaterial temporär 27 Fussballfelder – vorwiegend Fruchtfolgeflächen (!) – dessen Qualität durch Bodenverdichtung, Abbau von organischer Substanz und Verlust an Bodenbiodiversität für lange Zeit beeinträchtigt sein wird. Neue Böden entstehen nur sehr langsam: Für die Entwicklung von einem Zentimeter funktionsfähigem Boden braucht es durch mikrobielle Prozesse und Aktivitäten anderer Kleinstlebewesen rund 100 Jahre.
– Eine fünfjährige Bauphase bedeutet massive Störung und Eingriffe. Für das Zuführen von Schüttmaterial, Beton, Belag, etc. und für das Abführen von Tunnelausbruch- und Bodenmaterial wird mit rund 63‘000 LKW-Fahrten gerechnet. Durch die Bauarbeiten wird die Umgebung auf längere Zeit mit Luftschadstoffen, Stickstoffdioxid (NO2) und lungengängigem Feinstaub belastet.
– Graue Emissionen: Die Herstellung und der Einbau von 84‘480 t Beton und 25‘395 t Belag bringt einen hohen Energieverbrauch mit sich (Asphalt wird bei 160° gemischt, transportiert und bei ca. 150° verlegt. Bei der Herstellung von Beton wird bei 1‘450° Kalkstein zu Klinker gebrannt). Dadurch werden Unmengen an CO2 freigesetzt, (? 50 -53‘000 t). zu deren Abbau es während eines Jahres die Syntheseleistung von 2‘115‘000 Bäumen braucht. Entsprechend bräuchte es in einem Jahr 8400-8900 ha Wald – gut doppelt soviel wie die Fläche des Bielersees.
– Für die geplante Aarebrücke sollen 1370 m3 -sprich 3’425 Tonnen Beton verbaut werden. Entspricht dem CO2-Ausstoss, welchen 1’524 Menschen jährlich auf ihrem durchschnittlichen Arbeitsweg von 30 km mit dem Auto verursachen.
Der Strassenausbau trägt gleich doppelt zur Klimaerwärmung bei: Der motorisierte Verkehr ist hauptverantwortlich für den CO2-Ausstoss und somit für die Klimaerwärmung. Mit einem Anteil von rund einem Drittel ist der Verkehr einer der grössten CO2-Emittenten in der Schweiz. Jede Versiegelung vernichtet Grünflächen und zerstört somit die notwendigen Ausgleichsflächen gegen die Erwärmung. Dies widerspricht diametral dem Berner Klimaschutzartikel, welcher am 26. September 2021 vom Volk mit 63,9 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen wurde. Er gibt dem Kanton und den Gemeinden den Auftrag, «die öffentlichen Finanzflüsse insgesamt auf eine klimaneutrale und gegenüber der Klimaveränderung widerstandsfähige Entwicklung» auszurichten.
In der Beantwortung der Einsprachen wird jegliche Verantwortung an Klimaemissionen mit fragwürdigen Argumenten umgangen. So weist man die Verantwortung mit den Worten von sich: «… das Pariser Klimaabkommen verpflichtet die Vertragsparteien nicht dazu, bei Einzelprojekten einen Nachweis der Klimaverträglichkeit zu erbringen.» Allerdings gilt: Das Angebot bestimmt die Nachfrage. Ein Ausbau des Strassenangebotes wird automatisch eine höhere Nachfrage nach sich ziehen und die Klimakrise noch mehr anheizen. Laut Studien verursacht das rund 25 % zusätzlicher, nicht vorgesehener Verkehr. Auch bei einer Umsetzung aller Vorhaben wird das Strassennetz an seine Grenzen stossen. Mobilitätsexperten bestätigen: Wollen wir bis 2050 die Klimaneutralität erreichen, müssen wir besonders im Verkehr den CO2-Ausstoss drastisch reduzieren.
Aufgrund des Verkehrsaufkommens von gegen 14’000 Fahrzeugen pro Tag muss die Bodenbelastung durch eremittierte Schadstoffe entlang der geplanten Umfahrungsstrasse als „hoch“ eingestuft werden. Augenfällig ist das Littering, entlang der Strasse sind Felder übersät mit Getränkedosen, Kaffeebechern, PET-Flaschen und Take-Away-Verpackungen. Laut Astra werden auf Kantonsstrassen rund eine Tonne Abfall pro Kilometer eingesammelt. Zusätzlich werden über den Reifenabrieb toxische Substanzen in strassennahe Böden verfrachtet. Zu ihnen gehören Schwermetalle und PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), genauso wie der Vulkanisationsbeschleuniger 2‐Mercaptobenzothiazol oder das Antioxidans 6 PPD, welche die Lebensdauer von Reifen verlängern. Diese Chemikalien zeichnen sich aus, indem sie schon in geringer Konzentration tödliche Folgen für aquatische Organismen haben. Deshalb sind aquatische Lebensräume mit geringer Wasserführung, wie die zahlreichen Wiesengräben im Risenacker und Banfeld besonders gefährdet.
Erschwerend hinzu kommt, dass beim Projekt Umfahrung Aarwangen hochbelastetes Strassenabwasser entgegen der BUWAL-Wegleitung grösstenteils direkt in den Boden zur Versickerung abgeleitet wird. Eigentlich müsste das Abwasser von stark befahrenen Strassen in Strassenabwasserbehandlungsanlagen (SABA) behandelt werden. In der Regel gilt bei Strassen mit einem Verkehrsaufkommen von > 10 000 Fahrzeugen ein Streifen von 1,5 m ab Fahrbahnrand als belastet. Das heisst: in diesem Bereich weder Weidegang noch Futtergras- oder Heugewinnung möglich.
Der Kanton beruft sich auf die «zahlreichen Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen». Diese vermögen jedoch die ökologischen Verluste bei weitem nicht zu kompensieren. Ganz zu schweigen vom zusätzlichen Land (50’200 m²), mehrheitlich Fruchtfolgeflächen, welches sog. «ökologisch flankierenden Massnahmen» erfordern. Gemäss Rechtssprechung des Bundesgerichts können Ersatzmassnahmen einen Eingriff nicht rechtfertigen (vgl. Entscheid des Berner Verwaltungsgerichts VGE 100.2014.214 vom 22. Juli 2015 E. 5.5).
– Gefangen im Sachzwangdenken, wurde offensichtlich primär aus Machbarkeitssicht gehandelt und der monetäre Nutzen ist offensichtlich stärker bewertet worden als die Eigenwerte von Natur und Landschaft.
– Dazu zwei Beispiele: Der Wirtschaftsverband Oberaargau übertreibt in seiner Stellungnahme «die Verkehrssanierung sichert die 20’000 Arbeitsplätze in der Region.» Hier gilt es einzuwenden: Eine gute Erreichbarkeit ist allenfalls einer von vielen Faktoren, welche die Entwicklung von Beschäftigung, Produktivität und Standortfaktor beeinflussen. Studien zeigen, dass die Entwicklung der Beschäftigung insgesamt wenig Übereinstimmung mit der Verbesserung der regionalen Erreichbarkeit zeigt.
– Seit langem würde der Strassenbau mit Reisezeiteneinsparungen legitimiert. Der Zeitgewinn, der für eine positive Bewertung wichtigste Faktor, wurde im Bericht von 2015 mit 160‘000 Stunden angegeben. Nun, im neuen Bericht sind es plötzlich 250‘000 Stunden, ein Plus von 40 %. Gemäss Mikrozensus sei die Tagesunterwegszeit im Auto aber über Jahre recht stabil (1994: 32 Min., 2015: 33 Min., 2021: 39 Min.).
Mit Entscheiden aus relativ kurzfristiger Sicht werden Umweltschäden schöngeredet und wichtige Lebensgrundlagen auf Kosten künftiger Generationen unwiderbringlich zerstört. Das Projekt kommt nur dank 16 Spezialbewilligungen zustande, z. B.:
- Bewilligung für die Unterschreitung des gesetzlich vorgeschriebenen Waldabstandes
- Bewilligung für Eingriffe in Ufervegetation gemäss Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz
- Ausnahmebewilligung für Eingriffe in schützenswerte Lebensräume und Bestände geschützter Pflanzen
Es besteht die Gefahr, dass die Umfahrung Aarwangen, sollte sie tatsächlich gebaut werden, zum Präzedenzfall für ähnliche Erschliessungssituationen wird. Nimmt man die heutigen Argumente des Kantons für die Strasse als Maßstab, müssten im Kanton Dutzende von weiteren Dörfern vom Verkehr entlastet und entsprechend viele Strassen über die „grüne Wiese“ geplant werden. Einen solchen Irrsinn können wir uns in Zeiten von Klimawandel und Artensterben aber schlicht nicht mehr leisten! Deshalb ist ein friedlicher Widerstand im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäusserung gerade in der aktuellen juristischen Phase enorm wichtig. Nicht zu vergessen: Es kamen zwei Referenden zustande. Nach erfolgter Planauflage sind 171 Einsprachen, grösstenteils von Privatpersonen aus den Gemeinden Aarwangen und Thunstetten eingegangen. In vielen Einsprachen werden ökologische Bedenken vorgebracht. Aus den Einsprachen entstanden 19 Beschwerden, u.a. durch Pro Natura, WWF und Stiftung Landschaftsschutz. Aktuell sind 9 Beschwerden ans Verwaltungsgericht Kanton Bern weitergezogen worden.
Die demokratische Legitimation besteht darin, dass das Stimmvolk über die Finanzierung des Strassenprojekts beschlossen hat, nicht aber über seine Rechtsmässigkeit. Nun geht es in der Rechtsphase darum, dass das Gericht als unabhängige Instanz klärt, ob der Kanton die Interessenabwägung in genügendem Masse vorgenommen hat. Insbesondere wird zu begutachten sein, welche Verpflichtungen sich aus der Berner Konvention für das Smaragdgebiet ergeben. Eingereichte Beschwerden richteten sich nicht gegen die Abstimmungsergebnisse vom März 2023, sondern gegen die Baupläne.
Durch die Umfahrungsstrasse wird der Stau grossenteils einfach dorthin verlegt, wo unsere Nachbargemeinden und vor allem die Natur darunter leiden werden. Die neue Umfahrung wird den Verkehr in die Stadt Langenthal verlagern (hauptsächlich Abschnitt vom Dreilinden- bis zum Ammann-Kreisel). Man rechnet bis 2030 mit einer Zunahme nordwestlich der Bahnlinie auf 15.000 bis 19.000 Autos täglich. Begriffe wie «Engpassbeseitigung», «Verkehrssanierung» täuschen darüber hinweg, dass eine Umfahrungsstrasse die Ortsdurchfahrt nicht einfach vom starken Verkehr befreien wird. Man erwartet etwa eine Halbierung des Verkehrs, d.h. es werden immer noch bis ca. 8.100 Fahrzeuge täglich verkehren. Damit steht eine verhältnismässig geringe Verbesserung der Lebensqualität in Aarwangen einer Verschlechterung der Lebensqualität in einer noch vorwiegend zusammenhängenden und intakten Umgebung gegenüber.
Im Oktober 2015 rechnet die Begleitinformation zur Mitwirkung Umfahrung Aarwangen mit Verkehrsprognosen von 12-25 % bis zum Jahre 2030. Diese Zahlen, beruhend auf den Verkehrsperspektiven 2030 aus dem Jahre 2006, wurden bereits 2017 durch die Verkehrsperspektiven 2050 überholt: Während im Zeitraum von 2017 bis 2050 die Bevölkerung um circa 21 Prozent wächst, steigt die Verkehrsleistung im Personenverkehr um 11 Prozent, wächst also im Vergleich zur Bevölkerung unterproportional. Verkehrsleistung, nur der Personenwagen betrachtet, steigt um nur 3 Prozent. Das heisst: Obwohl in der Schweiz 2050 mehr Menschen leben werden, nimmt der Autoverkehr im Vergleich zu heute nur wenig zu. Die Gründe liegen in der demografischen Alterung und im Mittel werden mehr Personen in einem Fahrzeug unterwegs sein. Im Vergleich zum ÖV verteuert sich die Nutzung eines eigenen Autos.